Von der Korrumpierung jeder Moral

Michel Houellebecq – „Unterwerfung“

von Frank Becker

Alle Demokraten in Deutschland blicken zu Recht mit tiefer Besorgnis auf die Politik im Land, wo eine Partei von ganz rechtsaußen Pläne schmiedet, unser Land in eine Geisteswelt zu führen, die dem Dritten Reich der Nationalsozialisten nicht unähnlich sein könnte, hätten jene künftig bei Wahlen den Erfolg, den sie sich erhoffen. Hunderttausende gehen auf die Straße und demonstrieren mit Macht und friedlichen Mitteln gegen solche Tendenzen.
 
Während sich kluge Menschen aufrecht gegen diese rechte Gefahr positionieren und deutlich machen, daß sie es nicht zulassen werden, daß Rechtsradikale politische Macht bekommen, wird in Deutschland in aller Stille die Gründung einer weiteren Partei vorbereitet, die eine massive Gefahr für unsere Demokratie und den Laizismus, die Trennung zwischen Staat und religiösen Institutionen bedeutet, die türkisch-islamische DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch), die ihren Namen von islamischen Begriff „Da'wa“ im Sinne der Missionierung und Belehrung von Nicht-Muslimen über den Islam herleitet.
Der Politologe Burak Copur bezeichnet die „Demokratische Allianz“ als Ableger der AKP, der mit dem Begriff Demokratie rein nichts zu tun habe. Vielmehr seien die Gründer der künftigen Partei keine Demokraten, sondern in der Vergangenheit durch populistische, islamisch-nationalistische Parteipropaganda für die AKP aufgefallen.
Die DAVA weise klar in Richtung des türkischen Autokraten Recep Tayip Erdogan, sagt Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam. Der türkische Staatschef habe die großen Moscheeverbände wie die aus Ankara gesteuerte Ditib und Islamische Gemeinschaft Milli Görüs sowie die AKP-Lobbyorganisation „Union Internationaler Demokraten“ (UID) oft für seinen Wahlkampf und nationalistische Propaganda genutzt: „Die führenden Dava-Leute sind damit verbandelt und es wäre absurd, hier die Nähe zu Erdogan zu leugnen.“
 
Unter diesen Vorzeichen und der jüngsten politischen Entwicklung, die eingewanderten Türken künftig generell eine doppelte Staatsangehörigkeit mit türkischem und deutschem Paß erlaubt und damit das deutsche Wahlrecht einräumt, sollte man warnende Stimmen hier durchaus ernst nehmen – wissen wir doch wie es in islamisch regierten Ländern um die Demokratie, die Meinungs- und die Religionsfreiheit bestellt ist.

Aus diesem Grunde ist es durchaus angezeigt, Michel Houellebecqs weitsichtigen Roman „Unterwerfung“ aus dem Jahr 2015 hier noch einmal vorzustellen und zur Lektüre zu empfehlen.

Von der Korrumpierung jeder Moral
 
Vorgestern stiegen zwei von Kopf bis Fuß in schwarze Schleier gehüllte Frauen (?) in den Linienbus ein, in dem ich saß. Ich bekam ein flaues Gefühl. Sie ängstigten mich. Sie gehörten nicht zu unserem Kulturkreis, zu Deutschland, die Steinzeit-islamischen Erscheinungen – und sie werden nie dazu gehören, auch wenn ein längst geschaßter planloser Bundespräsident und eine voreilig nachplappernde Kanzlerin das herauströten. Was zu Deutschland, zum freien Europa gehört, ist Religionsfreiheit, nicht mehr und nicht weniger.   
Von allen Seiten, leise von der intellektuellen, platt von der pöbelhaften, warnend von der informierten, dringen nicht erst seit dem fatalen Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ vor knapp drei Wochen so oder so begründete islamophobe Töne an unser mitteleuropäisches Ohr. Dafür muß es eine Ursache geben. Kaum formulierbare, beklemmende Ängste beschleichen die einen wie die anderen. Kaum jemand traut sich jedoch, seine Ängste zu äußern, aus Sorge, man könne ihn/sie für fremdenfeindlich, rassistisch oder sonst so etwas schrecklich Unkorrektes halten. Oder ist es die längst manifeste, nicht unbegründete Angst vor blutiger Rache beleidigter Muselmänner? Und doch, mit wem man auch spricht, hinter vorgehaltener Hand haben fast alle Angst vor dem Islam. Dafür muß es Gründe geben.
 
Hierzulande äußert sich die spätestens seit der Eroberung Spaniens durch die Mauren und den Türkenkriegen und ihren verschiedenen Stürmen auf Wien ins mitteleuropäische Bewußtsein eingegangene Beklemmung zumindest in starkem Mißtrauen. Scherzhaft wurde über längere Zeit die Eroberung Europas durch den Döner-Spieß im Munde geführt. Doch schon lange hat der Einfluß des Islam auf die westliche Kultur intensiv gesellschaftliche und  politische Formen angenommen. Der Islam gibt sich hier wie in Frankreich politisch moderat. Das tut er aber möglicherweise nur, weil er hier (noch) keine Macht hat. Hier lassen wir ein Zitat des Kabarettisten Dieter Nuhr einfließen: „Der Islam ist ausschließlich dann tolerant, wenn er kein Macht hat, und wir müssen unbedingt dafür sorgen, daß es bei uns so bleibt.“  
Aus verschiedenen Attentaten auf Islam-Kritiker in Europa und aus den auf den Nägeln brennenden unkontrollierbar aufflammenden Konflikten in Syrien/Irak, Mali/Nigeria, Jemen, Afghanistan/Pakistan wissen wir um die brutale Radikalität der hegemonialen Bestrebungen des Islam. Durch die demokratiefeindlichen, aus fragwürdigen politischen Gründen vom Westen gestützten Systeme Saudi-Arabiens und der Golfstaaten scheint sich ein Gleichgewicht herstellen zu lassen. Seit die Grenzen Europas offen und türkische und arabische Muslime in Heerscharen den Wohlfahrtsangeboten der Wirtschaftsnationen gefolgt sind, wächst der islamische Bevölkerungsanteil Mitteleuropas rasant. Wer kommt, sind im Wesentlichen die Unterprivilegierten aus armen Ländern, eine gefährlich explosive Klientel. Saudis, Katarer, Kuwaitis werden Sie wohl kaum darunter finden.
Vor allen hat Frankreich durch seine Kolonialgeschichte einen hohen Anteil längst auch politisch aktiver islamischer Bevölkerung, will sagen Männer (Frauen sind im Islam außer als Köchin, Dienerin und Sex-Objekt) ohne jede Bedeutung. Diese von den arabischen Erdölstaaten unterstützten politischen Kräfte gewinnen zunehmend Einfluß, vor allem auf das unzufriedene französisch-islamische Wahlvolk.
 
Das nimmt Michel Houellebecq in seinem im Jahr 2022 spielenden Roman „Unterwerfung“ zum Anlaß für die Fiktion eines Wahlsieges der islamischen Partei der Muslim-Brüder. Schon die Wahl der Titelillustration (haben Sie Patrick Süskinds „Die Taube“ gelesen?) ist verschreckend - ein Geniestreich des Verlages.
So raffiniert wie der Aufbau der Story ist ihr umwerfend perfider Schluß – womit ich perfide in diesem Fall als hohes Lob verstanden sein möchte. Der Pariser Literaturwissenschaftler und Universitätsprofessor Francois, in dessen Rolle Houellebecq schlüpft, führt als Weinkenner und Gourmet ein gutes Leben in mäßigem Wohlstand, auch sexuell zufriedenstellend durch wechselnde Verhältnisse mit Studentinnen und eine begehrliche Liebe zu der reizvollen jüdischen Studentin Myriam ausgefüllt. Die französischen Präsidentschaftswahlen (vor realpolitischem Hintergrund), in denen sowohl den Muslim-Brüdern wie auch der Front National unter Marine Le Pen Chancen winken, beobachtet er in gewohnter Dekadenz mit der Spannung, mit der er auch ein Pferderennen oder Fußball-Endspiel verfolgen würde. Der über den naturalistisch-dekadenten Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848-1907) promovierte Wissenschaftler, der seinen Stil zumindest argumentativ nach Huysmans auszurichten scheint, bemerkt die mögliche Wende früh, jedoch nicht die unmöglich erscheinende Koalition zwischen den Muslimbrüdern und einer nationalkonservativen Partei, was schließlich die Sozialisten nach blutigen Straßenkämpfen (die Houellebecq nur andeutet) zu einer Koalition mit den Muslimen zwingt, um die Front National von der Regierungsverantwortung fernzuhalten.
 
Houellebecq erzählt schlüssig, schöpft nüchtern und ohne Übertreibung den möglichen Folgenkatalog aus: jüdische, weibliche und nicht islamkonforme Hochschullehrer verlieren ihre Ämter, Juden wie Myriams Familie mit ihr emigrieren nach Israel, wer Geld hat, transferiert es ins Ausland. Saudisches Geld wird in den französischen Staats- und Bildungsapparat gepumpt, die Konversion zum Islam wird mit hoch dotierten Posten belohnt. Binnen kurzer Zeit wandelt sich das Gesellschaftsbild Frankreichs zu einer scheinbar moderaten islamischen Gesellschaft. Die Medien unterliegen einer Zensur, Bildungseinrichtungen werden islamisiert, Frauen aus dem öffentlichen Leben entfernt, die hübschen Mädchen, die das Straßenbild von Paris zuvor so reizvoll gemacht haben, verschwinden unter „Reformkleidung“. Männer der Führungsebene werden durch hohe Gehälter, das völlig den Werten europäischer Demokratie widersprechende System der Mehrehe und der absoluten Macht über die Frauen korrumpiert und zur Konversion gedrängt – und lassen sich korrumpieren. Francois beobachtet das mit staunendem Widerwillen, bis…
So zynisch und raffiniert Houellebecq all das erst auf den zweiten Blick erkennen läßt, den Leser in trügerische moralische Sicherheit wiegt, ihm den Spiegel der erniedrigenden Selbsterkenntnis schließlich triumphierend vors Gesicht hält, ist im höchsten Grade gekonnt.  Der Dialog zwischen Francois und dem erfolgreichen Konvertiten Robert Rediger ist Kernstück und intellektuelles Glanzlicht des Romans.
 
Natürlich möchte niemand, schon gar kein Muslim, diesen Spiegel vorgehalten bekommen, der ihm bescheinigt, trotz aller scheinbaren feinen Lebensart und hohen Bildung ein moralisch verkommener Macho zu sein. Die 2015 bekannt gewordene Skandal-Predigt des radikalen Imams Sheikh Abdel Moez al-Eila in der Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln und die antijüdischen  islamistischen Aufzüge und Ausschreitungen auf deutschen Straßen im Kielwasser des Hamas-Massenmordes vom 7. Oktober 2023 in Israel sind Beispiele dafür.
Michel Houellebecqs Roman ist mehr als nur literarisch, er ist ein gesellschaftspolitisch wichtiges Buch, das zu Recht in der gesamten westlichen Welt Aufmerksamkeit und in islamisch geprägten Ländern harschen Widerspruch findet – denn was im Buch noch Fiktion ist, ist dort grausame Realität und Tradition. Auf Michel Houellebecq und Dieter Nuhr zu hören, kann nicht schaden.
 
Michel Houellebecq – „Unterwerfung“
Aus dem Französischen von Norma Cassau, Bernd Wilczek
© 2015 Dumont Buchverlag, 272 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen  -  ISBN 978-3-8321-9795-7
22,99 €
Auch als Paperback unter der ISBN 9783832163594 für 12,- € zu haben.
 
Weitere Informationen:  www.dumont-buchverlag.de/